Texte
Wer gehört wird
Dr. Tamara Ehs
„The right to speak is a form of wealth“, schreibt die US-amerikanische Kulturhistorikerin Rebecca Solnit. Das Recht zu sprechen ist eine Form von Reichtum, der in einer demokratischen und deshalb feministischen Gesellschaft umverteilt wird. Wer seine oder ihre Geschichte erzählen kann, hinterlässt Spuren, bleibt in Erinnerung – selbst über 200 Jahre hinweg. Wer gehört wird und wer nicht, definiert den Status quo unserer Gesellschaft. Stimmlosigkeit und Machtlosigkeit gehen Hand in Hand. Nur wessen Stimme Aufmerksamkeit erhält, kann partizipieren, an der Demokratie teilnehmen und Politik mitgestalten. Lange waren Politik und Geschichtsschreibung eine von großen Männern und deren großen Taten, von Königen und Kriegsherren, von Gründervätern und Erfindern. Bertold Brecht kritisierte diese Form der herrschaftlichen Erinnerung in seinen Fragen eines lesenden Arbeiters. Doch erst die Frauenbewegung stellte die Fragen einer lesenden Arbeiterin und räumte auch jenen Menschen Platz in der Geschichte ein, denen lange Zeit nur das Private, nicht aber die Öffentlichkeit zugedacht gewesen war.
... / Was die Stadt / Schönes hat, /...
Heike Sütter
Im Wiener Stadtpark, an einer zentralen Wegkreuzung vor dem Kursalon, steht seit rund hundert Jahren das vergoldete Bronzestandbild von Johann Strauss. Es zählt zu den meistfotografierten Denkmälern Wiens. Was stellt man heute, zum 200. Geburtstag des Walzerkönigs, einem solch populären und ikonischen Monument zur Seite?
LICHT-RAUM-FORSCHUNGEN — Victoria Coelns Projekt 30 Jahre Friedliche Revolution
Heike Sütter
Eine der Initialzündungen für die revolutionären Ereignisse, die vor dreißig Jahren die DDR zur Fall brachten, ging von Leipzig aus. Hier, in der traditionellen Messestadt, versammelte sich der Mut zuerst von wenigen, bald von sehr vielen. Hier verdichtete sich, was in den Folgemonaten eine Kette von Ereignissen nach sich ziehen sollte, die ihren gemeinsamen Höhepunkt in der Friedlichen Revolution fanden. Ihrem Gedenken, dem Herbst ‘89 und speziell dem 9. Oktober 1989, dem Tag der Entscheidung in Leipzig, ist das Lichtfest gewidmet. 2019 werden dreißig Jahre Friedliche Revolution gefeiert, und so möchte diese mutige, bunte und kreative Stadt mit dem Lichtfest Leipzig 2019 im Konzept von Victoria Coeln in vielerlei Hinsicht neue internationale Maßstäbe setzen, zeitlich, inhaltlich und gesellschaftspolitisch ...
Crossing Realities
Lucas Gehrmann
Wenn Victoria Coeln für die Erstellung ihrer Chromographien auf die von ihr aus- und aufgesuchten, von Sonnen- oder Kunstlicht kaum bis gar nicht erhellten Orte, Räume, Stätten speziell gefertigte Licht-Bilder projiziert, bewirkt sie, wie sie selbst sagt, nicht etwa eine Beleuchtung derselben, sondern deren „Belichtung“. Das heißt: Victoria Coelns spezifische Art der Illumination ihrer Sujets geht der Belichtung des fotografischen Filmmaterials voran – das intendierte chromographische Bild besteht für die Dauer der Projektion bereits im realen dreidimensionalen Raum ...
Das Licht ist ein Ding
Andreas Spiegl
Die Erfahrung, dass man Dinge auch anders sehen kann, anders als man gewohnt war sie wahrzunehmen – dass sich die Sicht auf diese verändern kann, wenn man die Perspektive wechselt, sie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, zu einem anderen Zeitpunkt, aus der Entfernung von ein paar Stunden oder Jahren – wirft ein kritisches Licht auf das Sehen: Offensichtlich ist das Sehen kein Garant dafür, dass die Dinge so sind, wie man sie sieht ...
Wohin das Licht geht
Jörg Jacob
Lichtlinien gehen auf Spurensuche, zeichnen Wege nach, Farbfelder und Schattenflächen bilden Strukturen, die vor dem Hintergrund alter Bilder neue Deutungen ermöglichen. Das Licht ist hier Mittler, es öffnet Räume, macht Geschichte sicht- und erlebbar, denn sowohl die wahrnehmbar gemachte Präsenz des Lichts als auch seine Bedeutung als Metapher sind Victoria Coelns Arbeiten eingeschrieben. Ihre Überschreibungen vorhandener Raumsituationen mit Lichtstrukturen und -fragmenten ermöglichen eine neue Wahrnehmung vertrauter Orte. Die aktuelle Arbeit Victoria Coelns in Leipzig ist eine Annäherung an die Ereignisse im Herbst ’89. Behutsam macht sie sich mit den Gegenständen ihrer Forschung vertraut, erkundet Stadtraum, Architektur und Geschichte, bevor sie beginnt, mit Licht und Fotografie daran zu arbeiten ...